25. november 2011

Wann sieht Asia ihre fünf Kinder wieder?

Auch nach 17 Monaten Gefängnis hat Asia Bibi die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich der Irrtum aufklärt und sie freikommt.

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Endlich! Endlich wird sich das Missverständnis klären. Endlich wird sich herausstellen, dass sie Mohammed immer geachtet hat. Endlich wird man sie freilassen.

Asia Bibi kann die Gerichtsverhandlung kaum erwarten. Sie ist seit 17 Monaten im Gefängnis, hat aber noch nie einen Richter gesehen. Dass es bereits 17 Monate sind, hat man ihr gesagt. Asia Bibi selber hat die Orientierung verloren. Tage und Nächte gleichen sich: In der Zelle ist es immer dunkel. Einzig aus den Geräuschen erkennt Asia ungefähr die Tageszeit: Türknallen bedeutet Wachwechsel, ein rasselnder Schlüsselbund mit Schrittten und quietschenden Rädern bedeutet Essenszeit, ein scheppernder Eimer bedeutet Arbeitszeit. Ungestörten Schlaf kennt sie nicht mehr. Die Pritsche ist zu hart, die Kleidung feucht.

Seit 17 Monaten die fünf Kinder nicht mehr gesehen 

„Heute Abend, wie jeden Abend, bedrückt mich die Abwesenheit meiner Kinder viel mehr als dieses Gefängnis. Sie nicht berühren, sie nicht spüren zu können. Ich würde alles dafür geben, einen Augenblick mit ihnen zu verbringen, zu Hause, zu sechst mit meinem Mann im großen Bett aneinandergekuschelt.

Ich muss lachen, wenn ich an die nicht enden wollenden Entlausungszeremonien  letzten Winter denke, als Isham, meine jüngste Tochter, sich im Wäschekorb versteckt hat, um dem Lauskamm zu entkommen. Ashiq, mein Mann, hat den Kindern beteuert, dass ein Floh, der sich von der Kopfhaut eines kleinen Mädchens ernährt, eines Tages so groß wie eine Ratte sein würde, wenn man nicht achtgibt. „Eine Ratte?! Eine Ratte in meinen Haaren?“, hat Isham gerufen und sich schnell unter meinen Rock geflüchtet. Mein Gott, wie sehr habe ich diese Momente geliebt.“ Das war einmal. Wehmütig denkt Asia an ihre Familie zurück. Ihre Erinnerungen kann ihr niemand nehmen. Und sie geben ihr Kraft. Bald wird es wieder wie früher. Bald wird sie ihre Kinder wieder umarmen, ihren Mann Ashiq wieder küssen können. Das Gericht wird ihre Unschuld beweisen.

Einige Tage vor der Gerichtsverhandlung kommt Ashiq sie besuchen. Er könne zwar nicht in den Gerichtssaal kommen, da er sonst gelyncht werde. Er werde aber draußen auf sie warten und sie dann in Empfang nehmen. Ashiq lächelt breit: „Bald ist es vorbei, es ist höchste Zeit. Du bist jetzt nämlich schon über ein Jahr hier eingesperrt. Es ist wirklich gut, dass der Prozess endlich stattfindet. Die Kinder und ich haben bereits beschlossen, dass wir eine große Feier für dich machen, wenn du zu uns zurückkommst.“ Asia weint vor Freude: Endlich wird sie ihre Familie wiedersehen. Endlich wird sie die Hölle ihres Gefängnisses verlassen können. Zum ersten Mal trennt sie sich leichten Herzens von Ashiq: Sie werden ja bald für immer vereint!

„Soll ich noch bezahlen, dass man mich umbringt?“

Dann kommt er endlich, der ersehnte 8. November 2010. Die Beratung des Gerichts in Nankana Sahib dauert nur fünf Minuten, dann verkündet der Richter Naveed Iqbal sein Urteil: Todesstrafe durch Erhängen und Geldstrafe von 300 000 Rupien. Das Urteil geht in lautem Jubel unter: „Tötet sie! Allah akbar!“, schreien die Anwesenden befriedigt. Sogar drei Mullahs sind an den Prozess gekommen. Schließlich werden gar die Türen des Gerichtsgebäudes eingebrochen und von einer euphorischen Horde eingenommen: „Vergeltung für den Heiligen Propheten, Allah ist groß!“

Asia weint. Sie weint alleine. Ihre Familie ist nicht da, kein Anwalt vertritt sie. Selbst die Polizisten an ihrer Seite sind zufrieden mit dem Urteil. „Also weinte ich ganz allein, meinen Kopf zwischen die Hände gelegt. Ich konnte den Anblick dieser hasserfüllten Menschen nicht mehr ertragen, die dem Todesurteil gegen eine arme Landarbeiterin Beifall spendeten.“

Bevor der Mob Asia etwas antun kann, verlassen die beiden Polizisten mit ihr den Gerichtssaal durch eine Hintertür. Sie wird wieder in ihrer schäbigen Zelle eingesperrt – und sie meinte, sie sehe diese nie wieder. „Todesstrafe durch Erhängen, wie entsetzlich!“, denkt Asia Bibi. „Und als ob es nicht ausreichte, mich zu töten, muss ich auch noch eine Geldstrafe von 300 000 Rupien entrichten. […] Soll ich noch dafür bezahlen, dass man mich umbringt?“

Sie hört, wie ihre Zellennachbarinnen zum täglichen Spaziergang herausgelassen werden. Asia fühlt sich nicht  stark genug, das Gerede der andern Frauen zu ertragen. Khalil, der Gefängniswärter, schließt die Türe auf. „Es ist gut, dass du endlich für deine ungeheuren Taten bezahlen musst! Und jetzt beweg dich draußen ein bisschen, während du darauf wartest, am Strick aufhängt zu werden.“ Asia sagt mit leiser Stimme, sie möchte lieber nicht hinausgehen. Khalil gibt ihr einen Tritt, der sie durch die ganze Zelle schlittern lässt. Rot vor Zorn brüllt er: „Ich habe dich nicht nach deinen Wünschen gefragt, du widerliches Miststück!“ Die anderen Gefangenen behandeln sie wie die Pest und schauen sie scheel an. Alle wissen es: Asia ist zum Tod verurteilt.

Noch am gleichen Abend schreibt die Analphabetin Asia gedanklich ihren Abschiedsbrief.

Der Abschiedsbrief

«Mein lieber Ashiq, meine lieben Kinder,

Euch steht jetzt eine schwierige Zeit bevor. Heute Morgen bin ich zum Tode verurteilt worden. […]

Seitdem ich wieder in meine Zelle zurückgekehrt bin und jetzt sicher weiß, dass ich sterben werde, drehen sich alle meine Gedanken um Dich, mein Ashiq, und um Euch, meine geliebten Kinder. […] Dir, Imran, mein großer, achtzehnjähriger Sohn, wünsche ich, dass Du eine gute Ehefrau findest, die Du glücklich machen wirst, wie Dein Vater mich glücklich gemacht hat. Du, meine große 22-jährige Nasima, hast Deinen Mann und Deine liebenswürdigen Schwiegereltern bereits gefunden. Schenke Deinem Vater Enkel, die Du in christlicher Nächstenliebe erziehen wirst, wie wir es mit Euch gemacht haben. Du, meine sanfte Isha, bist fünfzehn Jahre alt, aber Du bist etwas eingeschränkt im Denken und Handeln. Trotzdem haben Papa und ich Dich immer als Geschenk Gottes angesehen, Du bist so freundlich und so großherzig. […] Sidra, Du bist erst dreizehn Jahre alt, und ich weiß, seitdem ich im Gefängnis bin, bist Du diejenige, die sich um den Haushalt kümmert, diejenige, die sich Deiner großen Schwester Isha annimmt, die Hilfe braucht. Ich mach mir Vorwürfe, Dir das Leben einer Erwachsenen auferlegt zu haben, Dir, die Du noch so klein bist und die eigentlich noch mit Puppen spielen sollte. Meine kleine Isham, Du bist erst neun Jahre alt und wirst schon Deine Mutter verlieren. […]

Meine Kinder, verliert nicht den Mut und auch nicht den Glauben an Jesus Christus. […] Meine Töchter, ich hoffe, Ihr habt so viel Glück einen so guten Mann zu finden, wie Euer Vater für mich einer ist.

Ashiq, ich habe Dich vom ersten Tag an geliebt und die zweiundzwanzig Jahre, die wir gemeinsam verbracht haben, haben es bewiesen. Ich habe niemals aufgehört, dem Himmel dafür zu danken, Dich kennengelernt zu haben. […]

Ihr wisst, warum ich sterben werde, und ich hoffe, Ihr macht mir keine Vorwürfe, so schnell von Euch gegangen zu sein, denn ich bin unschuldig, und nichts von dem, was mir vorgeworfen wird, stimmt. Du weißt es, Ashiq, wie Du auch weißt, daß ich weder gewalttätig noch grausam sein kann. Ich bin nur manchmal etwas trotzig. […]

Ich weiß noch nicht, wann sie mich hängen werden, aber seid beruhigt, meine Lieben, ich werde mich erhobenen Hauptes dorthin begeben, denn ich werde in Begleitung unseres Herrn und der Heiligen Jungfrau Maria sein, die mich in ihren Armen aufnehmen werden. Mein guter Mann, erziehe unsere Kinder weiterhin so, wie ich es gerne gemeinsam mit Dir getan hätte. Ashiq, meine geliebten Kinder, ich werde Euch für immer verlassen, aber ich liebe Euch bis in alle Ewigkeit.»

 


 

Wichtige Personen

 

  • Asia Noreen Bibi: Hauptperson
  • Ashiq: ihr Ehemann
  • Imran: 18-jähriger Sohn
  • Nasima: 22-jährige Tochter, verheiratet
  • Isha: 15-jährige Tochter, geistig behindert
  • Sidra: 13-jährige Tochter,
  • kümmert sich um den ganzen Haushalt
  • Isham, 9-jährige Tochter
  • Khalil: grausamer Gefängniswärter
  • Zénobia: christliche Gefängniswärterin, einzige Freundin im Gefängnis

Autor: Adrian Hartmann

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