12. augusztus 2016

Trotz Verfolgung – Syrien bleibt ihre Heimat

Die Familie von Aziz Yousef wurde vom Islamischen Staat verschleppt. Nach 25 Tagen im Bunker kehrten sie nach Al-Karyatain zurück und lebten als Dhimmis unter dem IS-Diktat. Ende November 2015 gelang ihnen die Flucht. CSI-Nahost-Projektleiter Dr. John Eibner hat Aziz in Syrien getroffen.

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Die Familie von Aziz Yousef wurde vom Islamischen Staat verschleppt. Nach 25 Tagen im Bunker kehrten sie nach Al-Karyatain zurück und lebten als Dhimmis unter dem IS-Diktat. Ende November 2015 gelang ihnen die Flucht. CSI-Nahost-Projektleiter Dr. John Eibner hat Aziz in Syrien getroffen.

Die Nacht vom 4. auf den 5. August 2015 stellte das Leben von Aziz Yousef* auf schreckliche Weise auf den Kopf. Die ganze Nacht hindurch fielen Schüsse, dreimal detonierte eine Bombe. «Wir ahnten, dass der Islamische Staat Al-Karyatain angriff. Deshalb packten wir am frühen Morgen die wichtigsten Sachen und stiegen um 6 Uhr ins Auto. Doch es war zu spät. IS-Terroristen hielten uns auf und zerrten uns aus dem Auto.»

270 Christen gefangen genommen

Wie Aziz weiter berichtet, wurde seine Familie zusammen mit allen anderen Christen aus der Stadt ins Haus des Muslims Khalil Al-Rahim gebracht. Dort erfuhren sie, dass sie Opfer eines Verrats geworden waren. Khalil hatte für den IS sämtliche Christen aus Al- Karyatain identifiziert. «270 Christen waren nun in seinem Haus gefangen. Wir mussten alle auf dem Boden schlafen, ohne Decke.»

Am folgenden Tag brachte der IS die Christen in einen ehemaligen Militärbunker bei Palmyra. Dort wurde auch Aziz‘ Familie eingesperrt, die ersten 13 Tage ohne Tageslicht. Danach konnten sie unter strenger Bewachung eine Stunde pro Tag ins Freie. «Die ganze Zeit wurden wir mit Lautsprecherdurchsagen beschallt, dass wir Ungläubige uns zum Islam bekehren sollten», erinnert sich Aziz an diese fürchterliche Zeit.

Leben als minderwertige Menschen

Nach 25 Tagen konnten die meisten der verschleppten Christen nach Al-Karyatain zurückkehren. Doch mussten sie fortan in ihrer Heimat unter dem IS-Terrorregime leben. Eine krebskranke Frau starb zwei Tage nach der Rückkehr, weil der IS ihr keinen Zugang zur Chemotherapie gewährte. Ein anderer Christ wurde kurzerhand wegen angeblicher Gotteslästerung erschossen.

Die zurückgekehrten Christen mussten einen Schutzvertrag des IS unterschreiben. Fortan lebten sie als Dhimmis, d.h., dass sie als Monotheisten geduldet waren, jedoch eine Schutzsteuer zu bezahlen hatten. Vor allem mussten sie sich in jeder Hinsicht den Muslimen unterwerfen. «Wir waren minderwertig. Jedes Mal, wenn wir einem IS-Kämpfer begegneten, mussten wir unseren Kopf senken, sodass die Muslime uns in der Grösse überragten. Wir durften keine Muslime als Angestellte haben oder ihnen auf irgendeine Weise vorgesetzt sein. Befanden sich Christen und Muslime im selben Auto, mussten die Christen immer hinten sitzen», so Aziz weiter. Auch durften die Christen während der muslimischen Gebetszeiten ihre Häuser nicht verlassen. Frauen durften das Haus überhaupt nur verhüllt verlassen. Alle Kirchen waren zerstört worden, so dass Christen, wenn überhaupt, nur noch in ihren privaten Räumen zu Gebeten zusammenkommen konnten.

Muslimen war es unter Androhung drakonischer Strafen verboten, die Christen in irgendeiner Weise zu unterstützen.

IS versprach besseres Leben

Und selbst wenn sich die IS-Terroristen verständnisvoll gaben, konnten die Christen ihnen nicht trauen. «Bevor wir nach Al- Karyatain zurückkamen, hatten uns der IS versprochen, dass unser Eigentum unangetastet bleiben würde, wenn wir sie unterstützen. Es würde uns dann sogar besser gehen als unter Präsident Bashar Al-Assad.» Aziz‘ Familie besass ein Haus.

Bei der Rückkehr musste sie der Realität ins Auge sehen, dass das Haus nicht vor Plünderung und Beschädigung verschont geblieben war. Einige christliche Häuser wurden zu militärischen Zwecken missbraucht, sodass sie bei Luftangriffen von der syrischen Armee zerstört wurden. Immerhin erlaubte der IS den Christen, dass sie ihrer Arbeit nachgehen konnten.

Nächtliche Flucht

Nach zwei Monaten unter IS-Herrschaft begannen die Christen aus Al-Karyatain zu fliehen. Aziz Yousefs Familie floh am 28. November 2015 nachts um 22 Uhr. Aziz hatte vorher sein defektes Auto soweit wie möglich fahrtüchtig gemacht. Dennoch blieb die Flucht gefährlich. Deshalb verliess die Familie die Stadt im Auto ohne Licht. Sie übernachtete in einem Bauernhaus auf dem Land, das ihr gehörte. Am nächsten Tag fuhren sie weiter nach Homs. «Als wir Al- Karyatain verliessen, blieben 24 Christen zurück. Bei der Flucht konnte man ja nichts mitnehmen. Diese Christen wollten ihre Habseligkeiten nicht verlieren», erklärt Aziz.

Schwiegertochter in der Gewalt der Extremisten

Aziz Yousefs Familie ist dankbar, dass ihr die Flucht vor den IS-Schergen geglückt ist. Gleichzeitig macht sie sich grosse Sorgen um Schwiegertochter Rahel*. Sie hatte das Schicksal besonders hart getroffen. Denn am Tag vor der Entführung durch den IS war sie von ihrer Heimat Kamischli nach Al-Karyatain angereist, um ihre Verwandte zu besuchen. Dieser Besuch wurde ihr zum Verhängnis. «Sie wurde nach Rakka verschleppt. Für ihre Freilassung fordert der IS eine halbe Million Dollar Lösegeld. Doch wie sollten wir dieses Geld jemals auftreiben können?» seufzt Aziz.

Jahrzehntelang hatte Aziz in Frieden mit seinen muslimischen Nachbarn zusammengelebt. Doch heute kann er ihnen nicht mehr vertrauen. Was den pensionierten Lehrer besonders befremdet: Einige seiner ehemaligen Studenten wollten ihn nach Ausbruch des Syrien-Kriegs dazu drängen, sich zum Islam zu bekehren. Aziz weiss, dass eine solche Bekehrung als ehemaliger Lehrer eine Signalwirkung für andere Christen und Minderheiten haben könnte.

Im Frieden ein wunder­bares Land

Trotz all der schrecklichen Erlebnisse möchte Aziz in Syrien bleiben und am liebsten nach Al-Karyatain zurückkehren. Aziz’ Sohn Adil, der Al-Karyatain drei Monate vor der IS-Eroberung verlassen hatte, sieht keine Zukunft in der zerstörten Stadt. Doch auch er möchte Syrien nicht verlassen. «Meine Schwester in Kanada hat mich gebeten, ihr nachzufolgen. Doch ich werde in Syrien bleiben. Ich müsste sonst meine Arbeit als Pädagoge aufgeben und meine Freunde zurücklassen.» In Friedenszeiten sei Syrien ein wunderbares Land, das den Bürgern viele Entfaltungsmöglichkeiten gebe.

Am Schluss des Gesprächs zieht Adil einen Vergleich zwischen den Rebellengruppen in Syrien: «Ob IS, Al-Nusra-Front oder die Freie Syrische Armee: Alle verfolgen das gleiche Ziel und wollen ein Syrien nach streng islamischem Gesetz. Die Kämpfer wechseln ohne Weiteres von einer Rebellengruppe zur anderen.»

Reto Baliarda


Mit Kreativität dem Kriegsalltag entfliehen?

Für die Kinder in Syrien ist es besonders wichtig, dass sie in einem sicheren Umfeld Ablenkung vom kriegerischen Alltag finden. Nun hat CSI-Partnerin Schwester Sara ihr Angebot für leidgeprüfte Kinder erweitert. Im Juni 2016 startete sie das neue Projekt «Child friendly space» (kinderfreundliche Freiräume). Bei diesem abwechslungsreichen Angebot können die Kinder ihre Kreativität beim Tanzen, Spielen, Malen oder auch Aufführen von Theaterstücken ausleben.
Schwester Saras «Child friendly space»-Team führte am 4. Juli 2016 ein grosses Fest durch. Etwa 150 Kinder nahmen daran teil und zeigten, welch kreative Begabungen in ihnen stecken. Drei Mädchen und zwei Knaben im jugendlichen Alter übernahmen bei den Aktivitäten die Leitung und wurden dabei von einer jungen Expertin betreut. Das Fest war ein grossartiger Erfolg und ein weiteres Zeichen dafür, dass die Hoffnung in Syrien weiterlebt.

* Namen geändert

Reto Baliarda

Weiterer Bericht:
Aufbauen oder aufgeben? CSI besucht leidgeprüfte Menschen

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