23. november 2015

Nach Todesdrohungen das Land verlassen

Shahbaz Noshads Familie wurde von Islamisten in seiner Heimatstadt Lahore verfolgt, weil er um Aufklärung des Gewaltverbrechens an seiner Schwester bat. Die Familie floh nach Thailand, wo sie um ihre Existenz kämpft

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Ein Halbmond hängt über dem Christenviertel der pakistanischen Stadt Kasur (südlich von Lahore). Vor dem Haus der Familie von Shahbaz steht eine Gruppe bärtiger Männer, die mit Fäusten gegen das Eisentor hämmern und Einlass begehren. Sie führen nichts Gutes im Schilde. Shahbaz (50), seine Frau Esther (41) und die Kinder Joshua (16), Nasreen (14) und Elija (8) richten sich im ersten Stock in ihren Betten auf und lauschen angestrengt.

Flucht über die Dächer

Furchterregende Beschimpfungen schallen von unten herauf. Shahbaz weiss: Für ihn und seine Familie geht es jetzt um Leben und Tod. «Zieht euch an», befiehlt er den Kindern, «wir müssen sofort weg». Das Pochen und die Stimmen auf der Strasse vor dem Haus werden lauter: «Ein Gotteslästerer, Tod ihm und seiner Familie, lasst sie nicht entkommen!» Als die Männer schliesslich gewaltsam ins Haus eindringen, ist es leer. Es ist den Christen im letzten Moment gelungen, mit einer Leiter über die Dächer von Nachbarhäusern zu fliehen. Das war am 5. Oktober 2012.

Sogar die Polizei fürchtet sich

Shahbaz war ins Visier der Terrorbewegung «Lashkar-e-Taiba» (LeT) geraten, der «Armee der Gerechten». Die 1990 gegründete Islamistenbewegung, die von Indien beschuldigt wird, für das Massaker von Mumbai (2008) verantwortlich zu sein, lehrt in den Städten und Dörfern von Pakistan sogar die Polizei das Fürchten.

Shahbaz wurde von ihr mittels einer «Fatwa» (islamisches Rechtsgutachten) für vogelfrei erklärt, weil er es gewagt hatte, die Behörden in Kasur um Aufklärung der Gewaltverbrechen an seiner Schwester Anila und ihrem Kind zu bitten. Die Fremdsprachenlehrerin und ihr siebenjähriger Sohn Yousaf waren eine Woche zuvor von LeT-Terroristen entführt worden. Während die Mutter die Mehrfach-Vergewaltigungen überlebte, starb der Junge an den Folgen von Misshandlungen.

Yousaf wurde am 28. Februar 2012 im Krankenhaus von Kasur für tot erklärt. Seine Eltern und Shahbaz flehten die Mediziner an, die Leiche des Kindes zu obduzieren, um seinen gewaltsamen Tod aktenkundig zu machen. Sie beobachteten, wie mehrere bärtige, traditionell gekleidete Männer das Sprechzimmer des Arztes verliessen. Der lehnte anschliessend jegliche Untersuchung und die erbetene Bestätigung zur Todesursache des Ermordeten ab.

Wütender Mob

Als ob das nicht bereits genug an Demütigung war, wurde die Leiche nun zur Polizeiwache gebracht. Shahbaz bat daraufhin seinen Pfarrer und jugendliche Mitglieder des Kirchenchors, zusammen mit ihm die Herausgabe des toten Kindes zu verlangen. Während sie noch mit den Polizisten verhandelten, versammelte sich draussen im Hof ein Mob wütender Männer, darunter auch die, die vorher im Spital gesehen worden waren. Sie ergriffen Shahbaz und schlugen ihn unter Rufen wie «Christen sind Hunde, möge ihnen ein kurzes Leben beschert sein» erbarmungslos zusammen.

Flucht als einzige Chance

Der Gemeindepfarrer Munir wusste, dass die Familie von Shahbaz nur eine Chance hatte, um der Todesfatwa der Islamisten zu entgehen: die Flucht ins Ausland. Es gelang Mitgliedern seiner Kirche in Kasur, die Unglücklichen zu verstecken und genug Geld zusammenzulegen, um ihnen die Flucht ins thailändische Bangkok zu ermöglichen. Dort hausen Shahbaz, Esther und seine Kinder seit dem 16. Februar 2013 in einem winzigen Zimmer, zusammen mit Shahbaz‘ 67 Jahre alter Mutter Elena.

Zwei Jahre lang liess sich das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Bangkok Zeit, um über die Anträge der christlichen Familie zu befinden. Am 9. Februar 2015 kam der niederschmetternde Entscheid: Nein zur Anerkennung als Flüchtlinge, die Anträge werden abgewiesen, alle müssen zurück nach Pakistan. Die dürre Begründung für den unglaublichen Bescheid: «Die Aussagen bei den UNHCR-Befragungen seien widersprüchlich». Shahbaz hätte einmal gesagt, ein Arzt habe es auf Druck der LeT-Mörder abgelehnt, die Todesursache seines Neffen Yousaf zu bestätigen, ein anderes Mal, der Arzt habe gegen Yousafs Autopsie entschieden, weil der Polizeibericht fehlte.

Auch ein Bittschreiben von Shahbaz‘ Gemeindepfarrer Munir an die Adresse des UNHCR in Thailand blieb ohne Wirkung. Dies obschon er betonte, dass Extremisten die Familie ermorden würden, sollte sie nach Pakistan zurückgeschickt werden.

Am 15. Juli 2015 wurde Shahbaz von der Fremdenpolizei in Bangkok verhaftet. Seine Aufenthaltsbewilligung für Thailand war im März abgelaufen. CSI hat eine Kaution von umgerechnet 1300 Euro hinterlegt, um dem herzkranken Familienvater die Rückkehr in die Einzimmerwohnung zu seiner Familie zu ermöglichen. Auch hat Noshad einen gewissen IDC-(Immigration Detention Center) Pass bekommen, der ein Jahr gültig ist. Er muss alle zwei Wochen bei IDC rapportieren. Sonst kann er sich relativ frei bewegen. Aber der Rest der Familie wagt sich nicht aus dem Haus.

Bange Ungewissheit

Das Tauziehen um das Leben dieser Christen ist damit noch nicht beendet. Ihr Schicksal steht exemplarisch für viele andere: In Bangkok hoffen derzeit Tausende christlicher Flüchtlinge aus Pakistan auf Anerkennung, um dem sicheren Tod in ihrer lebensgefährlichen Heimat zu entgehen.

Gunnar Wiebalck, Projektleiter Pakistan


Youhanabad: Verdächtige festgenommen

Die pakistanische Polizei hat im Zusammenhang mit den Terroranschlägen in Lahore fünf Verdächtige festgenommen (CSI berichtete mehrmals). Bereits im April war ein Verdächtiger verhaftet worden. Bei den Anschlägen vom 15. März 2015 auf zwei Kirchen kamen 15 Menschen ums Leben, über 80 wurden verletzt. fi


Weiterer Bericht:
CSI-Projektleiter Gunnar Wiebalck hat mit überlebenden Opfern des Attentats in Lahore gesprochen.

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